"Wir Russen sind wie Eisbären"
SPIEGEL ONLINE: Herr Tschilingarow, was haben Sie gefühlt, als Sie aus Ihrem U-Boot die russische Flagge auf den Meeresgrund unter dem Nordpol pflanzten?
In 4267 m Tiefe...
Tschilingarow: Das war wie der erste Schritt auf den Mond. Schön ist es da unten. Und wenn in hundert oder in tausend Jahren dort einer runtertaucht, dann wird er dort die russische Fahne sehen.
SPIEGEL ONLINE: Was Rohstoffe angeht, ist der Pol wenig interessant.
Tschilingarow: Der Nordpol, der Meeresboden unter ihm, ist ein Symbol. Es geht weniger darum, wem er gehört, sondern darum, ihn zu erreichen. Unsere Expedition war eine geografische Entdeckungsreise. Erst danach haben Ihre Freunde im Westen die politische Bewertung abgegeben, Russland wolle die Arktis erobern. So ein Quatsch. Wissenschaftler haben das weltweit ganz anders bewertet. Ich habe dafür sogar im Vatikan den Friedenspreis der Weltföderation der Wissenschaftler bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Ärgert es Sie, wenn der Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer eine stärkere Präsenz des westlichen Verteidigungsbündnisses in der Arktis ankündigt und dies mit den militärischen Aktivitäten Russlands begründet?
SPIEGEL ONLINE: Aber gerne - die Patrouillen russischer Bomber und Atom-U-Boote.
Tschilingarow: Das machen die Amerikaner auch. Die Patrouillen gab es schon immer. Nur wurden sie in den neunziger Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges und aus wirtschaftlichen Gründen ausgesetzt. Schauen Sie, wir haben keine Kriegsschiffe, die gleichzeitig Eisbrecher sind, und mir ist nicht bekannt, dass solche gebaut werden sollen.
SPIEGEL ONLINE: Auch die fünf skandinavischen Staaten scheinen Ihren Beteuerungen nicht zu glauben und diskutieren Pläne für ein Verteidigungsbündnis.
Tschilingarow: Das wird ihnen schwer fallen. Nur Russland verfügt über eine starke zivile atomgetriebene Eisbrecherflotte, die je nach Notwendigkeit jede Aufgabe erfüllen und jeden Punkt der Arktis erreichen kann.
SPIEGEL ONLINE: Das hört sich so an, als sei das Bedrohungsgefühl der Skandinavier nicht unbegründet.
Tschilingarow: Nicht Russland heizt hier die Situation an. Wir Russen sind wie Eisbären, ganz ruhig und selbstbewusst. Wir planen keinen Kalten Krieg in der Arktis. Wir treten im Gegenteil für internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit ein und sind bereit, Wissenschaftler aus allen Ländern an unseren Expeditionen teilnehmen zu lassen. Aber natürlich verteidigen wir unsere nationalen Interessen.
SPIEGEL ONLINE: Wie definieren Sie die?
Tschilingarow: Die Entwicklung unserer Inseln in der Arktis, die Wiedererrichtung unserer arktischen Forschungsstationen aus der Sowjetzeit und die Absicherung des Seeweges, der Atlantik und Pazifik miteinander verbindet. Ich habe deshalb gerade einen Gesetzesantrag in das Parlament eingebracht, der die Passage als nationale russische Transport-Magistrale definiert.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt eher nach Geopolitik und Kampf um Rohstoffe als nach friedlicher Wissenschaft.
Tschilingarow: Natürlich geht es auch um Ressourcen. Wie soll ein so großes Land wie Russland denn ohne sie leben? Die Sowjetunion hat alles richtig gemacht. Es gab eine Kommission zur Untersuchung von Arktis und Antarktis. Gas, Öl, Edelsteine, Gold, Nickel - diese Rohstoffvorkommen wurden dank der Sowjetunion erschlossen. In unserer Zeit ist es Aufgabe von Präsident Dmitrij Medwedew, dass unsere Enkel und Urenkel später einmal dasselbe sagen. Dass es schlaue Menschen gab, die an die Erkundung neuer Rohstoff-Reserven gedacht haben. 2050 werden wir dann auch die Technologien haben, um die Rohstoffe unter dem Meeresgrund der Arktis zu heben.
SPIEGEL ONLINE: Dies ist ein ehrgeiziges Ziel für Russland mit seinem relativ kleinen Forschungsetat.
Tschilingarow: Das ist ein realistisches Ziel. Wir errichten in den nächsten zwei Jahren ein großes Forschungsobservatorium auf Spitzbergen mit mindestens 50 Wissenschaftlern. Gerade ist der Bau eines neuen Arktis-Expeditionsschiffes beschlossen worden, zusätzlich zu den beiden, die es schon gibt.
SPIEGEL ONLINE: Rechnen Sie damit, dass die internationale Staatengemeinschaft Russland die 1,2 Millionen Quadratkilometer der Arktis zubilligt, die ihr Land beansprucht? Das ist eine Fläche mehr als dreimal so groß wie Deutschland.
Tschilingarow: Ich rechne mit dem, was uns nach der Uno-Seerechtskonvention zusteht. Nun werden wir erst einmal unsere Ansprüche auf das strittige Schelf wissenschaftlich begründen.
SPIEGEL ONLINE: Sie wollen bereits im kommenden Jahr einen entsprechenden Antrag bei den Vereinten Nationen einreichen. Das zuständige Forschungsinstitut in Sankt Petersburg sagt aber, die nötigen Daten könnten erst bis 2013 gesammelt werden.
Tschilingarow: Wir wollen den russischen Antrag 2010 vorlegen. Ich hoffe, wir schaffen das.
Das Interview führte Moritz Gathmann"
Artur Nikolajewitsch Tschilingarow, 69, ist Russlands bekanntester Polarforscher und zugleich Politiker. Für seine Teilnahme an zahlreichen Expeditionen zu Nord- und Südpol erhielt er die Orden "Held der Sowjetunion" und "Held Russlands". In westlichen Medien machte er im Sommer 2007 erstmals Schlagzeilen: An Bord eines Tauchboots rammte er am Nordpol in 4261 Metern Tiefe eine russische Flagge aus Titan in den Meeresgrund. Präsident Dmitrij Medwedew ernannte ihn zum "Sonderbeauftragten für die internationale Zusammenarbeit in Arktis und Antarktis". Seit 1993 ist Tschilingarow Mitglied der russischen Staatsduma und wurde später zum stellvertretenden Fraktionschef der Putin- Partei "Einiges Russland".
- Spiegel Online Fotostrecke Öl und Bodenschätze aus der Arktis
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